Seit Stunden schon verharren sie still in ihrem Verschlag, beobachten die Tiere und warten auf den richtigen Moment zum Abschuss. Plötzlich greift Herbold sein Gewehr, visiert die Wildsau im Fernrohr an – und winkt doch wieder ab. „Die Leitbache müssen wir schonen“, sagt der Schulleiter. Für seinen Schüler, den 36-jährigen Inhaber eines Gartenbaubetriebs in Fulda, hat sich die Lehrstunde an der frischen Luft trotzdem gelohnt: „Endlich erlebe ich Wildtiere aus nächster Nähe“, sagt er. „Das ist mein Jugendtraum.“ Der Stadtmensch Fillauer befindet sich in guter Jagdgesellschaft – die grüne Zunft bekommt derzeit frischen Wind, sie wird im Durchschnitt jünger und urbaner. Unternehmer, Banker und Berater flüchten vom Schreibtisch in den Wald. Sie suchen fern von Alltagsstress und -lärm die Ruhe der Natur, wollen Fuchs und Fasan aufspüren und die Pflanzenwelt entdecken. Wie der Hase im Berufsleben läuft, haben sie erkannt. Wie er in Natur aussieht, wollen die Schreibtischtäter jetzt auch mal sehen. „Die Jagd bietet eine unbekannte, aufregende Welt“, lockt Jagdschulleiter Herbold. Die Einladung zum Schüsseltreiben, das große Fressen nach der Jagd, galt bei vielen Konzernen schon immer als Ritterschlag – mehr noch als die gemeinsame Runde auf dem Golfplatz. Wen der Businesstalk beim Putten nervt, findet im Wald seine Ruhe. Die obersten Ränge der deutschen Industrie gehen gemeinsam auf die Pirsch, meist im eigenen Revier. Darunter Krupp-Patron Berthold Beitz, Porzellanhersteller Wendelin von Boch oder Jürgen Großmann, Eigentümer der Stahlholding Georgsmarienhütte. Und natürlich Günter Mast von Jägermeister. Rund 343.000 Jagdscheinbesitzer zählt der Deutsche Jagdschutz-Verband (DJV) dieses Jahr, mehr als je zuvor. Das Bild vom Jäger in Lodenjacke und Lederhose wandelt sich. Junge Jäger tragen zwar nach wie vor dunkelgrüne Tarnfarben, Stoff und Schnitte sind inzwischen aber modern. Zumal immer mehr Frauen in die einstige Männerdomäne drängen, Stammtischsprüche sind damit passé. Der Weg zurück zur Natur ist lang. Und beginnt mit Büchern. Welches Tier zu welcher Jahreszeit erlegt werden darf, welche Munition in welches Gewehr gehört und wie der Jagdhund apportieren soll – das alles gehört zum Lernstoff und heißt nicht umsonst „grünes Abitur“. Ein Viertel der Kandidaten fällt im ersten Versuch durch. Private Jagdschulen und staatliche Kreisverbände bieten Intensivkurse von wenigen Wochen für 2000 bis 3000 Euro an. Auf Gut Grambow bereiten sich die Kursteilnehmer dreieinhalb Wochen auf die Prüfung vor. Benjeshecken als Biotope hegen, das Rehwild im Winter mit Nahrung versorgen und bei Krankheit pflegen, vom Aussterben bedrohte Tiere wie den Biber schonen. Gutsbesitzer Hans Martin Lösch schickt seine großstädtischen Zöglinge in sein 2000 Hektar großes Revier im Mecklenburger Land. Wenn die Stiefel knöcheltief im Schlamm versinken, die nasse Erde unter den Sohlen schmatzt und die Äste ins Gesicht schlagen – dann sehen selbst gut bezahlte Bürogestalten aus wie Pfadfinder auf Wanderschaft. Beim Reviergang zeigt Landwirt Lösch die Schäden, die hungrige Rehe beim Knabbern an der Baumrinde hinterlassen und wie die Schweine im Acker nebenan gewütet haben. Ein Zeichen, dass inzwischen zu viel Rot- und Schwarzwild seinen Wald bevölkert. Dagegen hilft die Büchse. In diesem Sinne versteht sich der Jäger als Arzt des Waldes. Lösch: „Wir blasen hier bald wieder zur Jagd.“ Vorher müssen seine Kandidaten die Schießprüfung bestehen. Dafür üben Fillauer und seine acht Kameraden eine Woche jeden Tag vier Stunden am Schießstand. Morgens um sieben Uhr geht es los, noch liegt der Morgentau über dem Grambower Moor. Die Männer haben sich warm eingepackt, tragen Gummistiefel und Gehörschutz. Fillauer zielt mit der Schrotflinte über Kimme und Korn auf Tontauben. Ein Knall, Schrot schießt aus dem Gewehrlauf. Der Körnerhagel trifft, die orangen Scheiben zerbersten noch in der Luft. Für Fillauer ein neues Erfolgserlebnis – bisher hat er nur Rosen auf dem Jahrmarkt geschossen. Mitstreiter Thorsten Glock, 38 Jahre und Bauunternehmer aus Kalbach, lädt einen Stand weiter die Büchse mit schwerer Munition und will einen Keiler aus Pappe treffen, der träge von rechts nach links gezogen wird. Der Schuss fällt, der Keiler nicht. Am Computer liest Schulleiter Herbold das Ergebnis ab: ein Streifschuss. „Nicht aus der Ruhe bringen lassen“, mahnt er. Treffsicherheit ist eine Frage der Konzentration. Damit das Tier nicht unnötig leidet, muss der erste Schuss sitzen. Die Kombination aus Geschicklichkeit, Disziplin und Geduld ist es, die Jäger an ihrer Freizeitbeschäftigung schätzen. Ein weiteres Motiv, von Jagdgegnern heftig kritisiert, geben Vertreter der Zunft nur zögerlich zu. „Wir machen gern Beute“, sagt Rainer Dulger, der über einen Studienfreund zur Jagd kam. Der Inhaber des Pumpenherstellers Prominent aus Heidelberg findet den Jagdtrieb völlig normal: „Die einen jagen der Karriere, die anderen dem Geld oder den Frauen hinterher – wir jagen das Wild.“ Die Beute wird schon aus kulinarischen Gründen geschätzt. „Alles, was ich erlege, kommt in den Kochtopf“, sagt Heidrun Kleinert. Die promovierte Biologin zerlegt das Wild: Sie schneidet die Bauchdecke auf, entfernt die Organe und trennt küchenfertige Fleischteile ab. Eine blutige Angelegenheit, die nicht jedem liegt. Doch das Ergebnis rechtfertigt für Kleinert den Aufwand. „Was man selbst geschossen hat, schmeckt am besten“ , sagt sie. „Da weiß ich jedenfalls, was ich esse.“ Auf der letzten Jagd schoss sie sich ein Wildschwein. Heiko Palm nimmt oft seinen achtjährigen Sohn mit in den Wald. „Er kennt viel mehr Bäume und Tiere als andere in seiner Klasse“, sagt der 36-jährige Augenoptiker. Damit auch andere Jungen und Mädchen etwas lernen, bietet Palm, so wie andere Jäger, Umwelterziehung im Kindergarten an. Die Jagd unterliegt hier zu Lande anders als in Frankreich oder Großbritannien strengen Regeln. Wer als Jäger eine Waffe tragen will, muss sein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. „Den Jagdschein bekommt nur, wer eine weiße Weste hat“, sagt Jörg Kuhlmann, Anwalt aus Bochum, spezialisiert auf Jagd- und Waffenrecht. Verstöße gegen das Jagdgesetz, beispielsweise das Erlegen eines Tier in der Schonzeit, werden mit Geldstrafen geahndet. Wer den Jagdschein schließlich in der Tasche hat, darf sich zwar zur Jagd einladen lassen – ein eigenes Revier hat er noch lange nicht. Erst nach drei Jahren Probezeit darf er ein Jagdgebiet pachten. Die Kosten variieren je nach Größe und Lage: „100 Hektar vor der polnischen Grenze sind ab 500 Euro im Jahr zu haben“, sagt Martin Gerlach, „in beliebten Gebieten wie dem Münsterland kostet eine Pacht derselben Größe schnell 5000 Euro, im Sauerland bis zu 50.000 Euro“. Der 31-jährige Jäger vermittelt als Makler Reviere übers Internet. Bis zur eigenen Pacht hat Jagdschüler Fillauer noch einen langen Weg vor sich. Das zarte Hasenfilet auf seinem Teller reicht ihm als Vorgeschmack auf das erste selbst erlegte Stück Wild. Der Mittelständler weiß, dass harte Zeiten und viele Abendstunden Fakten lernen vor ihm liegen: „Ein Jäger ist im Grunde wie ein geduldiger Unternehmer, wie heißt es doch: Er wirft die Flinte nicht so schnell ins Korn.“